Arbeiten über AufBruch




Ausschnitt aus der Diplom-Arbeit von Bernhard Mandl an der Universität Wien


DIPLOMARBEIT

TITEL DER DIPLOMARBEIT

„GIB MIR EIN T-SHIRT MIT ANDREAS BAADER DRAUF!“

DIE REZEPTION DER ROTEN ARMEE FRAKTION IN DER MUSIK

VON 1971 BIS HEUTE

Verfasser

Bernhard Mandl

angestrebter akademischer Grad

Magister der Philosophie (Mag. phil.)

Wien, im Oktober 2009

AufBruch (urspr. Flexibel-Blues-Band) – Für Ulrike (Jänner 1998)

Herkunft: DDR

Genre: Rock

Schaffenszeit: 1986 – heute

„Sie hatte es so unendlich satt, so ungehört zu sein.

Mit der Zeit wie ein Stein im Wasser unterzugehen,

mit den anderen und doch allein.

Und sie wollte etwas tun und sie wußte, es würde schwer.

Doch es wäre besser, als ein Leben lang zu sterben

- und nicht mehr.

Und sie dachte: "Da hilft nur noch Amok.

Amok Tag und Nacht. Die Sachen, die mich kaputt

machen werden jetzt von mir kaputtgemacht.

Vielleicht, dass ich dann irgendwie für mich 'ne Zukunft seh."

Und sie dachte, sie sei die Schwester von Che.

Sie hatte so eine furchtbare Angst und doch schreckte

sie nichteinmal der Tod.

Sie gab sich selbst keine Chance und sprang deshalb

vom Rettungsboot.

Von Ungerechtigkeit, Heuchelei und Lüge hatte sie die Nase voll.

Sie glaubte, wenn sie sich freischieße, wäre das toll.

Und plötzlich zitterten die Spießer

und die ganzen Instanzen vor ihr.

Und sie dachte: "Gewalt ist eigentlich Mist,

doch irgendwie hilft das mir.

Ich wollte es anders, doch anders verstehen die mich nicht.

Der Krug geht solange zu Brunnen, bis er bricht.

Die Zeitungen schrien: Bringt sie tot oder lebend,

wir wollen uns rächen.

Keiner soll mehr über ihre Aktionen sprechen.

Sie haben versucht, sie zu brechen,

als man sie dann irgendwann gefasst,

doch das schafften sie nicht. Man fand sie tot in ihrem Knast.“ 199

Interpretation

Das 1998 auf CD erschienene Lied „Für Ulrike“ ist eines von zahlreichen Liedern

über Ulrike Marie Meinhof, die in dieser Arbeit noch besprochen werden. Auffällig ist,

dass das Lied wie Meinhofs Ideologieveränderung aufgebaut ist:

• unzufrieden mit der Situation in der BRD, entschlossen, etwas dagegen zu

unternehmen

• sich bewusst sein, dass es schwer ist, dagegen anzukämpfen200

• Radikalisierung ihres Handelns

• Entschlossenheit, Gewalt als Lösung anzuerkennen

• Aufhetzen der „Zeitungen“201

• Selbstmord?

Jede Strophe kann also als ein Lebensabschnitt in ihrem Leben betrachtet werden.

Anders als andere Bands glorifizieren „AufBruch“ die RAF auch nicht – sie sehen

dieses Lied auch nicht als ein Lied über die RAF, sondern über die Person Ulrike

Meinhof. AufBruch erkannten, dass es in ihrer Fangemeinde oft eine große

Sympathie für Gewalt gab, eine Haltung, die sie nicht vertraten. Dieser Umstand

bewegte „AufBruch“ zu einem Lied über Ulrike Marie Meinhof, eine Person, die sie

schätzten, die jedoch durch ihre Entscheidung, Gewalt als Lösung anzunehmen,

unterging. Sie wollten die Menschen darauf aufmerksam machen, dass Gewalt nicht

als Lösung angesehen werden durfte.202 In der dritten Strophe lassen sie Meinhof

noch mit der Entscheidung zur Gewalt hadern, erklären, dass sie ursprünglich nicht

der Meinung war, Gewalt anzuwenden, um zu erreichen, was sie wollte. Ihr Sprung

vom sicheren Leben (Job als Journalistin bei konkret, ihre beiden Zwillinge) in den

Untergrund und ihre Angst dabei wird bereits in der zweiten Strophe mit den Zeilen

„Sie hatte so eine furchtbare Angst und doch schreckte sie nicht einmal der Tod. Sie

gab sich selbst keine Chance und sprang deshalb vom Rettungsboot“ dargestellt.

Alle angesprochenen oder angedeuteten203 Umstände sind nachvollziehbar, einzig

die erste Zeile im Refrain „Und sie dachte: "Da hilft nur noch Amok. Amok Tag und

Nacht.“, ist anfechtbar. Ulrike Meinhof wollte nie Amok laufen oder Amok verbreiten.

Natürlich wollte sie manchen Leuten das Gefühl geben, nicht mehr ruhig schlafen zu

können und Angst um ihr Leben haben zu müssen – Amok würde ich das aber nicht

nennen. Außer diesem unglücklich gewählten Wort ist der Refrain jedoch sehr gut

gelungen. Die Assoziierung mit dem „Ton Steine Scherben“ Klassiker „Macht kaputt,

was euch kaputt macht“ ist mehr als offensichtlich: „Die Sachen, die mich kaputt

machen werden jetzt von mir kaputtgemacht.“

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass „Für Ulrike“ eine gelungene Hommage

an Ulrike Meinhof ist, die von ihren Freunden bzw. RAF Mitgliedern wie auch von der

Öffentlichkeit oft falsch verstanden worden ist. „AufBruch“ kritisieren jedoch auch ihre

Auffassung Gewalt gegenüber. Da das Lied nicht plakativ ist wie so viele andere, ist

es gerade deswegen textlich gesehen eines der intelligentesten Lieder zur RAF

Thematik.

Leben als Musiker in der DDR

Ideen zu diesem Lied gab es bereits in den 1980er Jahren, in der DDR gab es

jedoch mit der Zensur und der Stasi genug andere Themen, die man in Liedern

behandeln konnte.

• „Heimliche Ziele gab es nicht, „heimlich“ waren andere.“204

Als Band in der DDR aufzutreten war mit vielen Problemen verbunden, wie Ralf

Mattern in einem Interview mit Christian Hentschel erzählt:

• Ansuchen um Auftrittserlaubnis (Amateurmusiker mussten damals

nachweisen, eine Arbeitsstelle zu haben, sonst wurde die Auftrittserlaubnis

entzogen)

• anfängliche textliche Entschärfung, um auftreten zu können

• Anschaffung von Equipment

• Anreise zu Konzerten: Es war fast unmöglich, einen LKW oder einen größeren

Bus zu kaufen: „Einen LKW bekamen wir auch mit Hilfe der FDJ nicht. LKWs

waren streng kontingentiert. Wenn also jemand privat einen LKW verkaufen

wollte, was selten genug passierte, musste erst eine Kommission beim

Landkreis dem Verkauf und dem Käufer zustimmen.“205

• Gefahr von Auftrittsverbot (was AufBruch Ende der 1980er auch passierte)

• schließlich Kontrolle/Vorladung durch die Stasi: Ralf Mattern wurde 1987 das

erste Mal vorgeladen.

Ein weiteres Problem war, dass „AufBruch“ aus Wernigerode stammten. Was in

Berlin an Kritik oder Widerstand üblich war, wäre in der Provinz mit einem Aufruf zum

Systemsturz gleichgesetzt worden. Auffallend war jedoch, dass „AufBruch“ (damals

noch unter dem Namen „Flexibel“) von der FDJ Förderungen bekam, da die Kreisleitung von Wernigerode eine „Abrechnung“ für jugend-kulturelle Aktivitäten

brauchte. Sehr viel war das jedoch trotzdem nicht.

Es gab natürlich auch gravierende Unterschiede zwischen dem Punk aus dem

Westen und dem der DDR. „Punk in Deutschland meint immer Punk in

Westdeutschland. Das liegt zum einen in dem Umstand begründet, dass Punk in der

DDR keine Kommerzialisierung erfuhr und somit auch keine Überlieferung und zum

anderen aber in der Tatsache, dass die Bands aus der BRD zumeist auf die

Subversivität ihrer Musik Wert legten. Ihre Texte waren in ihrer Gesamtheit

abstrakter, allgemeiner und ironischer als die der DDR Punkbands. Die erste

Generation von Punkbands im Osten von Deutschlands (als die ersten Berliner Ost-

Punkbands werden „Rosa Extra“, „Koks“, „Skunks“, „Planlos“ - wollten sich

ursprünglich „Antifaschistischer Schutzwall“ nennen, was aber zu gefährlich gewesen

wäre – „Väterchen Frust und die Psychotherapeuten“ und „Namenlos“ gesehen,

Anmerkung des Verfassers) verstand, kriminalisiert und damit politisiert ihre Musik

meist als Tonträger ihrer subversiven Texte, die äußerst explizit, politisch und

systembezogen waren. Die West-Bands wurden zum Gegenstand öffentlicher

Wahrnehmung, die Ostpunkbands blieben immer Subkultur.“206

Michael Böhlke, der Mitbegründer der Band „Planlos“, berichtet von einem Auftritt in

Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), wo er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Wo Recht zu

Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“207 trug. Auf der Rückseite befand sich das

Logo der RAF. Trotz Warnung vieler Freunde trat er trotzdem so auf und wurde

beinahe zu zwei Jahren und acht Monaten Haft wegen Aufruhr, staatsfeindlicher

Hetze und Widerstand gegen die Staatsgewalt verklagt. Nach drei Tagen

Untersuchungen wurde Böhlke jedoch freigelassen. „Planlos“ hatte ansonsten nichts

mit der RAF (vgl. Interview mit AufBruch“ auf deren Homepage, wo berichtet wird,

dass es in der DDR ganz andere Themen gab, über die man singen wollte) zu tun,

Böhlke wollte lediglich protestieren und provozieren.

199 http://www.aufbruch-rockband.de/frames/fr_start.htm (22.04.09)

200 vgl. Der Titel der Meinhofbiographie von Alois Prinz ist „Lieber wütend als traurig“.

201 Referenz zum Springer Verlag ist hier mehr als deutlich.

202 In einem Interview äußern sie sich jedoch nicht als Pazifisten, da ihrer Meinung nach manchmal

Umstürze nur durch Gewalt erreicht werden können. Als Beispiele nennen sie das Ende der Apartheid

in Südafrika oder den Umsturz in Kuba 1959. Im selben Atemzug aber erklären sie, dass die Situation

in Deutschland damals nicht annähernd als selbe Krise betrachtet werden kann.

203 „Man fand sie tot in ihrem Knast“ – „AufBruch“ lassen hier die Todesursache Meinhofs offen, was

ihnen eine Kritik der „Rheinlandpfalz“ einbrachte, die den Song deswegen als problematisch einstufte.

204 zit. nach Hentschel, S.264

205 ebenda, S.268

206 zit. nach Gericke, siehe Boehlke, Gericke, S. 20 ff.

207 ursprünglich ein Zitat von Bertolt Brecht. Wird heute sowohl von rechts und links verwendet. Vgl.

http://de.wikipedia.org/wiki/Widerstand_(Politik) (02.06.09)