Arbeiten über AufBruch




Nix-Gut-Interview


Nix-Gut: Im Herbst veröffentlicht ihr euer neues Album „Das legendäre unveröffentlichte Album“ bei uns. Was steckt hinter dem Namen?

Als wir im Frühjahr 1987 noch unter dem Namen "Flexibel" unseren ersten
Auftritt hatten, ahnten wir nicht, dass wir zwei Jahre später von der
DDR-Kultur- und Sicherheitsbürokratie wegen unserer Texte verboten sein
würden. Offenheit, Kritik am Staat, Forderung nach heute
selbstverständlichen Rechten, wie Meinungs- oder Reisefreiheit oder
endlich die Offenlegung von Umweltdaten (das war tatsächlich seinerzeit
ein Staatsgeheimnis, dessen Verletzung strafrechtlich verfolgt wurde!)
wollten die Regierenden in den Sälen der Republik nicht musikalisch
untersetzt präsentiert bekommen, weil sie wussten, wie sensibel und
genau hinhörend das Publikum darauf reagiert. Sie hatten Recht - die
Konzerte damals waren und wurden immer auch politische Veranstaltungen,
in denen das Publikum zu uns kam, uns auf die Schulter haute und
meinte: "Endlich sagt mal jemand, was hier los ist!" Trotzdem war die
Band auch schon in der DDR nicht nur eine sich ausschließlich politisch
äußernde Gruppe. Etliche Songs beschäftigten sich mit ganz
Alltäglichem, mit Frust und Liebe, mit Wut, Trauer, Hoffnung und
Sehnsucht. Ungekünstelt, deutlich, unverblümt. Selbst diese Lieder,
ohne direkte politische Ausage, waren den Verantwortlichen ein Dorn im
Auge, weil sie die "real existierenden" Gefühle, die jeder irgendwann
in irgendwelchen Situationen hat, nicht unterdrückten, sondern an- und
aussprachen. Während die politischen Songs aus der DDR-Zeit noch immer
aus dem Grund wichtig sind, sich zu erinnern, die Geschichtsschreibung
nicht der FDJ-Volkskammerabgeordneten Kati Witt zu überlassen oder aus
der DDR nachträglich einen Riesengaudi zu machen, sind die nicht
vordergründig politischen Songs noch immer aktuell. Damals duften sie
nicht auf Schallplatte oder Kassette erscheinen - nun liegen sie
endlich - in musikalisch neuen Fassungen - vor.

Nix-Gut: Was waren eure musikalischen Wurzeln und welche Strömungen haben euch in der neuesten Zeit gefesselt und beeinflusst?

Die Wurzeln der Ur-Band – von denen ja nur noch ich über bin – lagen eindeutig im kritischen deutschsprachigen Rock. Ton Steine Scherben (die als linke Band in der DDR verboten waren!) oder der frühe Udo Lindenberg (war auch desöfteren verboten) kamen aus westlicher Richtung. Der Osten hatte eine eigene deutschsprachige Szene, die bis etwa Ende der siebziger Jahre durchaus hörenswert war. Im Osten wurden jedoch nur menschliche Schwächen (Lügen, Neid, Missgunst, Falschheit) kritisiert, nicht jedoch die dem Staatssystem innewohnenden Mängel. Wer das in den 70-ern tat (wie „Renft“ oder Wolf Biermann) wurde verboten oder sogar verhaftet bzw. ausgewiesen. Mitte der achtziger Jahre wagten dann von den „etablierten“ Bands nur noch wenige eine gewisse Offenheit, wie „Pankow“ oder „Silly“. Viele neue Bands, im Osten hießen die offiziell „Die anderen Bands“, von denen auch wir eine waren, waren eher im Untergrund tätig. Nun darf man sich das in einem preußisch organisierten Staat wie der DDR das nicht chaotisch vorstellen. Ohne eine Spielerlaubnis, die von der staatlichen Kulturbürokratie ausgestellt wurde (nach einem Vorspielen der Antragsteller vor einer Kommission) – oder eben auch nicht ausgestellt oder eingezogen werden konnte, durfte man auf den staatlichen  Bühnen (und private gab es nur gaaaaanz wenige, die dann aber auch besonders überwacht wurden) nicht auftreten. Unsere Wurzeln lagen auch im Blues-Bereich, der in der DDR vom Staat mit besonderen Argusaugen verfolgt wurde, weil die langhaarigen Blueser nun sogarnicht ins Bild eines „sozialistischen Jugendlichen“ passten. Und: Für die Blueser (und die Blueskonzerte) öffnete die Kirche ihre Tore – später – in den 80ern, gab es in kirchlichen Räumen auch viele Punkkonzerte. AufBruch hieß übrigens ganz am Anfang noch „Flexibel Blues Band“. Da aber unser Repertoire doch eigentlich (musikalisch) viel wilder und krachiger war, ließen wir bald den Zusatz weg. Die heutigen AufBrucher haben tatsächlich eine Menge musikalischer Einflüsse: Meine liegen – wie gesagt - eher im Bereich der „Scherben“, unser Basser kommt aus der Metal-Ecke, unser Gitarrist ist Fan all jener, die eine Gitarre virtuos zu bedienen verstehen, und unser Drummer ist Jazz-/Soul-/Black-Musicfan.

Nix-Gut: Erkläre bitte mal einem Kind was der grobe Unterschied bzgl. des Alltags in der BRD im Vergleich zu dem von euch in der ehemaligen DDR erlebten ist.

Das kann man kaum in zwei Sätzen. Ich versuche es mal: Hattest du damals lange (oder bunte) Haare, wurdest du ständig (!) von der Polizei in Ausweiskontrollen gezogen, gelegentlich mit aufs Polizeirevier mitgenommen und stundenlang da gelassen, obwohl man dich kannte und vor der Kontrolle sogar gelegentlich mit Namen ansprach. Du hast für bestimmte Städte zu bestimmten Zeiten (Parteitage, bestimmte Festivitäten) Einreiseverbot erhalten. Wenn du nicht gearbeitet hast, konntest du ins Gefängnis gehen (Es gab einen „Assozialen“-Paragraphen im Strafgesetzbuch, der Nichtarbeiten mit Gefängnis bestraft hat). Du durftest nicht offen aufrufen zu Meinungs- oder Reisefreiheit – auch dies wurde mit Gefängnis bestraft. „Kontaktaufnahme mit Westmedien“ (also wenn du dein Demo-Tape z.B. an Nix-Gut gesendet hättest), war auch so ein Verbotsparagraph, der im Knast endete. Wenn du im Urlaub verreisen wolltest, ging das auch nicht so einfach: In den „Westen“ durftest du nicht, und in den Ostblock nur mit Visum (Polen, Ungarn, Sowjetunion) und nur mit einer bestimmten viel zu geringen Menge an Geld – mehr durfte man nicht umtauschen und vor Ort wollten die Banken das DDR-Geld nicht haben. In den Zeitungen stand nur eine einzige politische Meinung. Hier bei uns im Landkreis gab es vor unserem Verbot nur eine einzige Band (nämlich uns), weil Musiktechnik unerschwinglich war, weil es Transportmittel nur mit Zustimmung des Rates des Kreises zu kaufen gab (wir hatten einen LKW aus dem Baujahr 1957!) – na ja, und die Prozedur für eine „Einstufung“ hatte ich ja schon erläutert. Es war sogut wie unmöglich, den Wehrdienst (mindestens 18 Monate) zu verweigern. Es gab eine einzige Plattenfirma, die mit ihren Auflagen ausschließlich die etablierten Bands (wie Puhdys, City usw.) bedachte – und Schallplatten (CDs gab es damals noch nicht) von Westkünstlern wurden alle 14 Tage jeweils eine neue – in viel zu geringer Stückzahl – veröffentlicht. Man stellte sich dann am einzigen Plattenladen der Stadt dienstags um 14 Uhr an ohne zu wissen, was denn heute angeboten würde, und als um 15 Uhr der Laden öffnete konnte man dann Pech haben und es gab nur Peter Alexander oder Roger Witthaker... Während in Westberlin Smog-Alarm gegeben wurde, und die Autos stehen bleiben musste, kannte man im Osten so etwas nicht. Obwohl es in Ostberlin noch schlimmer war wegen der veralteten rußenden Kraftwerke und der Zweitaktabgase der „Autos“, muss der Smog wohl an der Mauer Halt gemacht haben....

Nix-Gut: Was treibt Euch an Musik zu machen und von was zehrt ihr als Musiker und Band mit großen textlichen Ansprüchen am meisten?

Natürlich: Jeder, der Musik macht, macht das ja nicht in seinem Zimmer, sondern in der Öffentlichkeit – und da hofft auch jeder auf ein Echo durch die Leute. Und auch wir zehren davon, von dem Echo, wenn uns Leute sagen: Na klar, das habe ich auch erlebt, oder auch: Na, was ihr da gemacht habt, ist nicht so gelungen, usw. Die Möglichkeiten, sich mit der Musik auszudrücken, sind schon faszinierend. In der DDR hatten Musiker die Rolle der „kritischen Medien“ übernommen, heutzutage gibt es ja genug Möglichkeiten, Meinungen aller Art zu publizieren. Trotzdem ist es immer auch als deutschsprachige Band nicht leicht, Songs zu schreiben, die auch ein gewisses Niveau haben. Viele verstecken sich ja hinter englischen Lyrics, die nicht jeder gleich versteht. Deutsche Texte kannst du nicht verstecken: Entweder sie sind gut oder eben nicht, und da hat die Musik als Transportmittel nur eine sekundäre Rolle – bei bescheuerten Texten kann auch die Musik den Song nicht retten... Ob wir wirklich so „große“ textliche Ansprüche haben, weiß ich gar nicht. Wir wollen unsere Gefühle, unsere Erfahrungen, unser Denken in Worte fassen, so wie es die Leute im Publikum ja auch mit ihren Gefühlen, Erfahrungen und mit ihrem Denken tun, nur, dass wir die ganze Sache eben reimen und mit Musik versehen... Ich halte übrigens Texte, die ein (auch politisches) Gefühl vermitteln, für viel schwieriger zu schreiben, als offen propagandistisch anprangernde Parteiprogramm-Songs. Ein Beispiel ist da auch Ton Steine Scherben: Wir finden ja nun alle Alben von denen genial, besonders die ersten beiden („Warum geht es mir so dreckig“ und „Keine Macht für niemand“) – aber am gelungensten finde ich aber die „Wenn die Nacht am tiefsten“. Während also die Songs der ersten beiden LPs doch eher für den Tag gemacht sind – wie es Rio Reiser einmal formulierte - , eine bestimmten politischen Situation entstammen, sind die Songs der „Wenn die Nacht am tiefsten“ immer noch unverändert aktuell.   

Nix-Gut: Welche Lieder aus DDR-Zeiten sind deiner Meinung nach absolut hörenswert und sollten jedem politikinteressierten Menschen bekannt sein?

Meinst du jetzt von DDR-Künstlern? Also, da gibt es ein paar LPs, die zu meinen Lieblingsalben zählen (die TOP 50 findet man übrigens – gut versteckt – auf unserer Homepage), also aus der DDR-Zeit finde ich, eben nicht wegen einer direkten (sonst wären die Platten nicht erschienen), sondern der oft indirekten politischen Aussage hörenswert:

Pankow                                                Hans im Glück

Renft                                                    Klaus Renft Combo

Jens-Paul Wollenberg                       Ein Wrack im Frack

Gerhard Schöne                                 Spar deinen Wein nicht auf für morgen

Duo Sonnenschirm                            Beschattung durch Duo Sonnenschirm

Pankow                                                Aufruhr in den Augen

Engerling                                             Engerling

Puhdys                                                1

Transit                                                 Bernsteinhexe

Karussell                                             Das einzige Leben

Renft                                                    Renft

Gerhard Schöne                                 Du hast es nur noch nicht probiert – Live

Jens-Paul Wollenberg                       Razzia im Paradies

Silly                                                      Mont Klamott

Pankow                                                Keine Stars

Engerling                                             Tagtraum

Hansi Biebl                                         Hansi Biebl Band

Hinzu kommen die auf CD gebrannten Konzerte von Wolf Biermann in Köln (1976) und Stephan Krawczyk („Wiederstehen“ 1988) nach ihren Ausbürgerungen aus der DDR, die im Westen erschienen sind

Nix-Gut: Was denkst du über das Phänomen der deutschen Punkszene? Laut neuesten Berichten soll sie die weltweit größte sein…

In der Tat: Das halte ich schon für ein Phänomen, dass es diese Szene nach so langer Zeit immer noch gibt. Etliche Jugendszenen, wie die „Beatfans“, die „Mods“, die „Gammler“ kennt ja man eigenlich nur vom Hörensagen... Und zum Glück gibt es diese Popper und „New Romantics“ nicht mehr. Wir selbst sind nun auch rein äußerlich schon keine Punks (auch wenn uns viel verbindet), können deshalb von draußen vielleicht ganz gut auf die Szene schauen. Und da fällt uns auf, dass es immer noch einen gewissen Unterschied gibt zwischen Osten und Westen: Im Osten ist die Punkbewegung nach unserer Auffassung noch politischer, im Westen hingegen definieren sich die Punks mehr als ein sozial-kultureller Gegenentwurf zur Gesellschaft. Im Osten steht das Aussehen für eine globale Kritik an der Gesellschaft, im Westen mehr für  ein die Spießer provozierendes Anderssein. Beides wirkt natürlich auch andersherum: Die politische anarchistische Auffassung stößt die Spießer ab, und die Spießer ziehen ihre politischen Schlussfolgerungen aus dem gelebten Anderssein der Punks... Auch die heute etwas Älteren, die früher wegen des Äußeren doch klar als Punks zu erkennen waren, sind ohne Iro nicht so leicht verblödet, sind offener für viele Probleme und haben auch oft das Träumen (und das Feiern) nicht verlernt. Das ist vielleicht auch ein Unterschied zu anderen Jugendszenen. Was uns da allerdings auch Sorge macht: Die Rolle, die chemische Drogen in der Szene spielen, scheint nicht so richtig kleiner zu werden. Und das passt dann nicht: Unabhängig leben wollen, aber Sklave seiner Droge zu sein.     

Nix-Gut: Heute Abend, am 07.10.05, ist eure CD-Releaseparty; was dürfen die Fans erwarten?

Auf einer Party gibt es natürlich immer auch einen Querschnitt des gesamten AufBruch-Programmes, und alle neuen Songs. Dazu kommen noch ein paar Überraschungen, „Special guests“ nennt man wohl so was...